Jean Améry - Die Tortur (2017)

   

Genre(s): Essayfilm   TV-Film   

Keine Inhaltsangabe vorhanden

 

Medium: Sonstiges

Bemerkungen:   DVD von Absolut Medien

Länge: 58
Bild: PAL, S/W, 16:9
Sprache: Deutsch
Untertitel: englische, französische, niederländische Untertitel (bei DIE TORTUR)
Regionalcode: codefree

Film
„Die Tortur“ 58’38
„Die Festung Derloven“ 56`12
Jean Améry – Betrachtungen“ 35‘12

Extras:
Vier Radio Lesungen von Jean Améry:
„Jenseits von Schuld und Sühne“
1. Audiofile „An den Grenzen des Geistes“ 58‘37
2. Audiofile „Wieviel Heimat braucht der Mensch“ 58,52
3. Audiofile „Ressentiments“ 58‘26
4. Audiofile „Über Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein“ 58‘15


„Die Tortur ist das fürchterlichste Ereignis, das ein Mensch in sich bewahren kann. Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“

Jean Améry ist 31 Jahre alt und Mitglied der belgischen Widerstandsbewegung, als er am 23. Juli 1943 beim Verteilen antinazistischer Flugblätter in Brüssel verhaftet wird. Nach seiner Folter im berüchtigten Fort Breendonk, einem Auffanglager unter SS-Verwaltung, wird er lebenslang von den Spuren des seelischen „Feuermals", vom Verlust des „Weltvertrauens“ gezeichnet bleiben.

Seine Schilderung der Geschehnisse, Verhör und Folterung, sind karg, bar jeder sprachlichen Dramatik. Sein Interesse richtet sich weniger auf die Praktiken der Folterknechte als vielmehr auf jene unauslöschlichen Spuren, die sie bei dem Gemarterten hinterlassen. „Die Tortur“ erscheint im Frühjahr 1966 mit vier weiteren Essays in „Jenseits von Schuld und Sühne – Bewältigungsversuche eines Überwältigten“.

Zuvor liest Jean Améry seinen Text für das SDR Radio. Seine Stimme klingt sanft, facettenreich, holprig und unverstellt. Diese beschwörende Narration bildet das akustische Fundament für die atmosphärischen Aufnahmen der Orte und Ereignisse. Ein verstörender Filmessay zwischen Gegenwart und musealem Erinnern, fern jeder Fiktionalisierung.

Als Ergänzungen „Die Festung Derloven“, gelesen von Jochen Nix sowie „Jean Améry – Betrachtungen“ von Irène Heidelberger-Leonard, Autorin der Biografie „Jean Améry – Revolte in der Resignation“ und Herausgeberin der Werkausgabe von Jean Améry bei Klett-Cotta.

»Im Kapitel „Die Tortur“ des Buches „Jenseits von Schuld und Sühne“ heißt es in Anlehnung an ein Zitat von Marcel Proust Nichts ereignet sich in der Tat so, wie wir es erhoffen, noch so, wie wir es befürchten. In dem Zusammenhang in dem dieser Satz steht, dem der Verhaftung und Folterung durch die Gestapo, meint er die befürchtete körperliche Erniedrigung. Er meint diese Erniedrigung als eine bloß vorgestellte, imaginierte. Der Schock, den der erste konkrete Schlag bewirkt, sagt, daß der reale Vorgang nicht mehr oder weniger fürchtenswert ist, sondern ganz anders. Die Einsicht, die den Geschlagenen überfällt, heißt, daß er ausgeliefert und hilflos ist. Hilflos und ausgeliefert wird er zum Objekt. Das Hineingeprügeltwerden in diesen Objektcharakter zersetzt nicht nur die Selbstachtung, es entzieht ihm das Bewußtsein, er selber zu sein, wie wenn man aus einem Schubfach das Bodenbrett herausbricht. Was immer man hineinlegt, fällt nun durch.« Helmut Heißenbüttel

»Der Schock des Gefolterten besteht darin, daß er gegen seinen Willen der Gewalt unterworfen, ins Komplott von Täter und Opfer gezwungen wird. Er erfährt sich als hilflos, als ausgeliefert, als bloßes Objekt des Anderen. Und diese Erkenntnis oder Erfahrung, nur noch Objekt zu sein, hebt sein Ich-Gefühl, sein Bewußtsein von sich selbst aus den Angeln, läßt die eigene Identität einstürzen und mit ihr das ursprünglich gegebene Weltvertrauen. (…) Der einmal erfahrene Schrecken bestimmt fortan das Lebensgefühl. „Das der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde,“ schreibt Améry in Jenseits von Schuld und Sühne, „bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht.“« Hanjo Kesting

»Viel später las sie zufällig einen Essay Über die Tortur von einem Mann mit einem französischen Namen, der aber ein Österreicher war und in Belgien lebte, und danach verstand sie was Trotta gemeint hatte, denn darin war ausgedrückt, was sie und alle Journalisten nicht ausdrücken konnten, was auch die überlebenden Opfer, deren Aussagen man in rasch aufgezeichneten Dokumenten publizierte, nicht zu sagen vermochten. Sie wollte diesem Mann schreiben, aber sie wußte nicht, was sie ihm sagen sollte, warum sie ihm etwas sagen wollte, denn er hatte offenbar viele Jahre gebraucht, um durch die Oberfläche entsetzlicher Fakten zu dringen, und um diese Seiten zu verstehen, die wenige lesen würden, bedurfte es einer anderen Kapazität als des einen kleinen vorübergehenden Schreckens, weil dieser Mann versuchte, was mit ihm geschehen war, in der Zerstörung des Geistes aufzufinden und auf welche Weise sich wirklich ein Mensch verändert hatte und vernichtet weiterlebte.« Ingeborg Bachmann, Drei Wege zum See

»Stellenweise von offenen Schwären überzogen, aus denen der rohe Schotter hervorbrach, und verkrustet von guanoartigen Tropfspuren und kalkigen Schlieren, war die Festung eine einzige monolithische Ausgeburt der Häßlichkeit und der blinden Gewalt. (…) Die Erinnerung an die vierzehn Stationen, die der Besucher in Breendonk zwischen Portal und Ausgang passiert, hat sich in mir verdunkelt im Laufe der Zeit, oder vielmehr verdunkelte sie sich, wenn man so sagen kann, schon an dem Tag, an welchem ich in der Festung war, sei es, weil ich nicht wirklich sehen wollte, was man dort sah, sei es, weil in dieser nur vom schwachen Schein weniger Lampen erhellten und für immer vom Licht der Natur getrennten Welt die Konturen der Dinge zu zerfließen schienen. Selbst jetzt, wo ich mich mühe, mich zu erinnern, (…) löst sich das Dunkel nicht auf, sondern verdichtet sich bei dem Gedanken, wie wenig wir festhalten können, was alles und wieviel ständig in Vergessenheit gerät, mit jedem ausgelöschten Leben, wie die Welt sich sozusagen selbst ausleert, indem die Geschichten die an unzähligen Orten und Gegenständen haften, welche selbst keine Fähigkeit zum Erinnern haben, von niemandem je gehört, aufgezeichnet oder weitererzählt werden (…).« W. G. Sebald, Austerlitz

Im März 1965, kurz nach der Tonaufnahme der „Tortur“ schreibt Améry an seinen Redakteur Helmut Heißenbüttel: „Ich selbst bin wie stets in solchen Fällen mit mir recht unzufrieden. Ich bin kein guter Sprecher (…).“ Heißenbüttel antwortet: „Besser als Sie es getan haben, kann man eine solche Sache nicht lesen. Das, was die Qualität Ihrer Arbeit ausmacht, die unmittelbare Verschränkung von persönlicher Erfahrung und objektiver Analyse, kann, so denke ich, nur der einem Zuhörer nahebringen, der diese Dinge erlebt und geschrieben hat. Das ist bei Ihnen so überzeugend wie nur möglich geschehen.“

» (…) Hierzu gehört ein literarischer Text, den Améry unmittelbar nach 1945 geschrieben hat um ihn seinem Roman Die Schiffbrüchigen einzufügen: Die Festung Derloven. Was Améry im Essay über die Tortur als eigene Erfahrung reflektiert, wird hier noch als ein Erlebnis der Romanfigur Eugen Althager erzählt. (…) Während die Tortur auf diese Weise in den epischen Details und in der Zeitform des Romans, der „tiefsten Vergangenheit“, als bloße Episode in den Zusammenhang einer großen Liebe integriert werden soll, aber im Erzählen selbst den Zusammenhang bereits sprengt, wird sie – zwanzig Jahre später – in den gedanklichen Gegensätzen, die der Essay entfaltet, als zentrale Erfahrung des Irreduktiblen und eigentlich nicht Erzählbaren vergegenwärtigt. (…) Améry verzichtet nunmehr auf die Fiktion und meidet die Anlehnung an literarische Verfahren, er bleibt essayistisch und stellt sich der Paradoxie: Denn die Intensität in der Erinnerung des Leides erreicht Améry ja gerade dadurch, daß er die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, das Leid zur Darstellung zu bringen, zum Thema macht.« Gerhard Scheit, Jean Améry – Werke, Bd. 2

»Wo Améry seine Fremdheit, den Verlust des „Weltvertrauens“, seine gesellschaftliche Isolation und seine existentielle Verbannung analysiert, sprengt er meiner Meinung nach die eng gesteckten Grenzen seines Buches und spricht einfach vom Zustand des Menschen. Der Überlebende ist lediglich ein äußerst tragischer Protagonist dieses Epochenzustands, der den Kulminationspunkt dieses Zustandes erlebt und erlitten hat: Auschwitz, das wie eine schreckliche Weltvision eines umnachteten Geistes hinter uns am Horizont aufragt und dessen Silhouette, wie weit wir uns auch entfernen, nicht schwindet, sich vielmehr auszudehnen und zu wachsen scheint. Heute wissen wir: Das Überleben ist nicht nur das persönliche Problem der Überlebenden, die langen, dunklen Schatten des Holocaust legen sich über die gesamte Zivilisation, in der er geschah und die mit der Last und den Folgen des Geschehenen weiterleben muß.« Imre Kertész, Der Holocaust als Kultur, 1992

»Damals, als ich in so fünf bis sechs verschiedenen deutschen KZ-Lagern von Kälte und Prügel versehrt einen Tag erwartet hatte, dem anzubrechen nie beschieden war, mußte der berühmt-berüchtigte „qualitative Sprung“ sich ereignet haben. Es gab seither keine Jasage mehr: das Reich des Todes hatte sich aufgetan in der Welt. Man überlebte nicht. Nur Lemuren waren aus dieser Nacht aufgestiegen. Oder, wie es im Lefeu heißt: man hatte kein Recht, das Überstehen zu überstehen.« Jean Améry, Lefeu oder Der Abbruch

»Im zweiten Aufsatz ist von der Tortur die Rede, die als eine besondere Form des Körper- und Schmerzerlebnisses phänomenologisch dargestellt wird und den Körperschmerz der Tortur, der von anderen verursacht wird und durch keine Hilfserwartung gelindert werden kann, gegen jede Art von Schmerz abgrenzt.« Jean Améry, Kurze Darstellung des Buchinhalts, 1967

»Die Rückbesinnung auf die klassische Aufklärung ist das intellektuelle und soziale Gebot der Stunde.
Das Licht der klassischen Aufklärung war keine optische Täuschung, keine Halluzination. Wo es zu verschwinden droht, ist das humane Bewußtsein eingetrübt.« Jean Améry, 1977